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„Es entstehen ganz unglaubliche Ideen“

Was können wir von der Natur lernen? Prof. Dr. Tobias Seidl, Westfälisches Institut für Bionik, Westfälische Hochschule, Campus Bocholt, im Interview über die Bionik.


Was war bisher Ihre spannendste Entdeckung?
Wir haben die enorme Haftkraft von Springspinnen messen können. Diese besitzen eine halbe Million kleinster Härchen. So können die Tiere mehr als das 150fache ihres Gewichts an Haftkraft entwickeln – und trotzdem die Beine ohne große Mühe wieder ablösen.

 

Welche Produkte wurden auf Basis Ihrer Erkenntnisse entwickelt?
Unter anderem eine Feder-Kupplung nach Vorbild des menschlichen Brustkorbs. Damit kann man zum Beispiel einen Motor und eine Bootsschraube miteinander koppeln.

 

Wie lange dauert es durchschnittlich von der ersten Idee bis zur Alltagstauglichkeit einer Technologie?
Das kommt ganz darauf an wie weit man ausholt. Wenn man eine Geometrie mit bionischen Leichtbauprinzipien verbessert, kommt man in schnellster Zeit zu einem optimierten Produkt. Falls man einen großen Innovationssprung versucht und ein komplett neues Produkt entwickelt, dauert das natürlich etwas länger.

 

Woher holen Sie Ihre Ideen?
Vieles ist Vorwissen aus Jahren des Lernens und Forschens. Dazu kommen etwas unspektakuläre Dinge, wie das Recherchieren in Datenbanken und das Lesen von Forschungsarbeiten.

 

Woran forschen Sie zurzeit?
Wir forschen gerade an Kühlsystemen für Elektro-Fahrzeuge. Aber auch an Robotern, die nach dem Vorbild von Wüstenameisen automatisch nach Hause finden.

 

Betreiben Sie auch Feldforschung?
Aber ja, manchmal darf man auch ins Feld oder selbst Experimente machen. Wir arbeiten zum Beispiel aktiv mit Bienen und Hummeln, um mehr über deren Pilotierung zu lernen. Ziel ist hier, kleine autonome Flugdrohnen besser zu machen.

 

Welchen Stellenwert hat Bionik in der heutigen Gesellschaft?
Zum einen ist es natürlich eine Wissenschaft und eine Methode neue Technologien oder Produkte zu entwickeln. Aber es zeigt eben auch, wie wertvoll die Natur für uns ist und wie viel wir davon lernen können – es gibt einfach unendlich viele Lösungen zum Erforschen. Am wichtigsten ist mir aber die Ausbildung junger Leute. Bionik lehrt über Disziplingrenzen hinweg zu denken, sich selbständig immer weiter zu bilden und auf Neues und Ungewohntes reagieren zu können. In einer Zeit, in der sich alles ständig ändert, ist das die perfekte Ausbildung. Firmen bekommen innovative Querdenker, die nicht auf Anweisungen warten, sondern selbst loslaufen und sich Gedanken machen.

 

Welche Unternehmen können von der Bionik profitieren?
Prinzipiell jedes Unternehmen, das in einem technologie-getriebenen Markt unterwegs ist. Wir helfen Produkte fundamental neu zu denken. Es geht also darum zu überlegen, was in Zukunft technisch möglich ist und von der Kundenseite nötig sein wird. Dieser Prozess ist etwas aufwändiger als eine übliche Optimierung, lohnt sich aber trotzdem: Es fallen dabei immer auch Ideen ab, die sich schnell umsetzen lassen.

 

Was sind zukunftsweisende Bionik-Projekte für den Klimaschutz?
Die Bionik hat natürlich ein super Potential für klimafreundliche Technologien – insbesondere in den Bereichen Windkraft, E-Mobilität und Leichtbau. Denn jedes bewegte Teil verbraucht weniger Energie, wenn es leichter ist. Darüber hinaus untersuchen unsere Studierenden zum Beispiel, wie man Mikroplastik filtern kann. Da entstehen ganz unglaubliche Ideen!

 

Welche Angebote hat Ihr Institut für Bionik?
Wir haben hier in Bocholt einen von zwei reinen Bionik-Studiengängen in Deutschland. Die Ausbildung ist sehr modern und auf eine sich ändernde Welt ausgerichtet. Die Professoren des Instituts lehren im Bionik-Bachelorstudiengang und sind auch im weiterführenden Master Maschinenbau aktiv dabei. Desweiteren forschen wir an biologischen Systemen, die in der Zukunft mal ein neues Produkt werden könnten. Unser Hauptgebiet ist aber die tägliche Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Das sind dann meistens kleine und mittlere Unternehmen, aber auch mal größere Konzerne. Wir analysieren gemeinsam, wo Bionik eine Innovation bringen könnte und entwickeln dann stufenweise neue Lösungen. Dabei hat man mit Firmen aus den unterschiedlichsten Bereichen zu tun. Das ist sehr spannend und man lernt immer was dazu!